Noir – 2001

Original vom 20.11.2022

Noir lebt fast gänzlich von seiner Inszenierung: Die Taschenuhr ist ein wichtiges Symbol – Tempus Fugit.

Mireille Bouquet ist ein Auftragskiller, Deckname Noir. Eines Tages wird sie von dem Schulmädchen Kirika kontaktiert. Gemeinsam haben sie eine geheimnisvolle Vergangenheit, symbolisiert durch eine Taschenuhr Kirikas, die eine seltsame Melodie spielt. Kirika erinnert sich ansonsten nur an ihre Fähigkeit gewissenlos zu töten. Gejagt wird sie dabei von Horden gesichtsloser Killer, die sich wie wir noch sehen „Les Soldats“ nennen. Mireille und Kirika arbeiten fortan zusammen, um ihrer Vergangenheit auf den Grund zu gehen.

Noir kommuniziert sehr über Bildsprache

Die erste Folge wirft den Schatten schonmal voraus: Die Serie läuft prinzipiell wie ein langes Musikvideo ab. Erwähnenswert ist dabei besonders die melancholische Stimmung mit europäischem Flair, welche nicht nur durch den besonders schönen Soundtrack, sondern auch durch introspektive langsame Kamerafahrten und -Einstellungen pointiert wird. Die Serie erzeugt schon in der ersten Folge starke Spannung der Bilder durch die Gegensätze dieser „(süd)europäisch genießenden“ Stilhaftigkeit als Sinnbild des Okzidentalen und der abstrakten, choreografierten Gewaltdarstellung im Sinne von John Woo’s Hongkong-Action des Orientalen andererseits. Genauso wie vielleicht Kirika und Mireille als Gegensätze von West und Ost nun zusammenarbeiten.

Auftragskiller Noir kann jederzeit über das Darknet gefunden werden…

Wer jedoch auf realistische Attentate hofft, wird bitter enttäuscht. Glaubwürdigkeit gehört nicht zu Noirs Talenten. Ob nun Kirika, rein körperlich gefangen im Körper eines zierlichen, pubertären Mädchens, sich gegen 3 extrabreite Handlanger gleichzeitig durchsetzt oder Mireille zum Morden in die High-Heels steigt und generell angezogen ist, als wäre sie Gast beim Sat.1 Frühstücksfernsehen; Bei Noir zählt das Styling. Auch hier fällt wieder der Gegensatz von Skrupellosen Terroristen und Kriegsverbrechern als Men-In-Black kontrastiert vor den malerischen Kulissen der Cote-d’Azur, Sizilien oder Paris auf.

Nervtötende Rückblenden – Schon nach 7 Folgen haben wir verstanden, dass Mireille entwicklungsgestört ist…

Auch die Story ist eigentlich nicht der Rede wert (zumindest bisher nicht). Die größtenteils episodisch aufgebauten Folgen erinnern vom Feeling her an Bösewichte und Hintergrundgeschichten aus der alten „Mission Impossible“-Serie der 80er, nur ohne Peter Graves als Jim Phelps. Auch hier sind die Geschichten der Design-Maxime angepasst. Die Folgen werden zu Hit-Or-Miss-Überraschungsknallern.

Folge 6 um KGB-Mann Nazarov ist meine Lieblingsfolge und wird jeden ein bisschen zum Nachdenken bringen, wie viel Nutzen Noirs Arbeit hat!

Im Fall z.B. der letzten Folge (6) dieses Teils des Reviews kann die emotionale Inszenierung manches mal aber über die Banalität der Handlung hinwegtäuschen.Die übergeordnete Handlung habe ich als „cool“ in Erinnerung. In diesem Review will ich noch nicht zu viel verraten, aber Althena als „quasi-Orthodoxe“ Sekten-Strippenzieherin von Les Soldats war immer eine meiner Favorite-Characters, die auch viel zu selten vorkommt.

Bei Althena kribbelt es untenrum, wenn Noir sein Ziel ausschaltet.
Noch ein Beispiel wie Farben, Licht & Schatten gut eingesetzt werden können.

Teil 2

Chloe: *I am the one and only von Chesney Hawks spielt*

Chloe

Neu eingeführt wird früh Altenas unerbittlicher Ausputzer Chloe, die, wie wir schnell merken werden, sich selbst für die geilste hält. Sie ist ein Narziß, der offenbar von Altena nur verhätschelt worden ist. Stellt euch vor, Jan-Fiete, der sein Leben lang nur Gemüsebratlinge essen durfte, wird zum Hitman ausgebildet. Verschlimmert wird das durch ihre Faszination für jegliche Stichwaffen, aber so muss man sich „Europas 1000jährige Dunkelheit“ eben vorstellen: Die fleischgewordene Graswurzel-Manifestation des Mordens eben. Nicht, dass ich Chloe nicht mag, aber irgendwie könnte die Geschichte auch ohne sie gleich zu Ende gehen, ohne dass großartig jemand etwas gemerkt hat!

Kirikas verkiffter Künstlerfreund wird nicht zum Tee kommen…

Flache Charaktere

Dies führt uns gleich zu Noirs größtem Schwachpunkt. Characterbuilding. Jeder Charakter bekommt im Laufe der Serie eine Folge, um sie sozusagen „zu bewerben“. Die Folgen sind zwar gelungen, aber sie sind auch die einzigen Einblicke in die tieferen Psychokrisen der Hauptcharaktere. Ansonsten sind die Persönlichkeiten flach wie ein Papp-Diorama. Etwas kontrastierend zur ewig sonoren Regie, die alles „plastisch“ wirken lassen will. Chloe ist das True Noir, Mireille kommt nicht über den Tod ihrer Eltern hinweg, Kirikas Gefühle sagen leise „Ade“ und Altena ist vergewaltigt worden. Was, wie wir sehen werden, der Grund für alles ist.

Oh nein, diese Deutschen, die bösen Deutschen… ich zittere vor Angst!
Realistisch: Kommunistennazis auf 3 Uhr!!!

Interessante „Missionen“

Die Gute Nachricht: Die Missionen, die das Noir-Team, aufgebrummt von Soldats, lösen soll, sind gut gemacht. Es sind spannende, kleine, stylishe Actionfilme mit extrem guten Ansätzen, wie kleine Märchen. Es geht um die ganze Welt: Russland, Deutschland, Taiwan etc. Auch vielversprechend ist eben die Offenbarung, das Soldats eine uralte Geheimgesellschaft ist, die Noir ihre Abenteuer als Herausforderung aufbürdet, und in ein konservatives Lager (mit Altena als Adam Weishaupt) und ein progressives Lager gespalten ist. Bis zum Ende zanken sich beide, Kirika auf ihre Seite zu ziehen. Die Soldats sind aber leider genauso aus Pappe, wie alle anderen Charaktere und wirken heutzutage auch sehr klischeehaft (Böse, weiße Männer in Anzügen, die große Weinbrandkelche schwenken und genüßlich auf ihre Machtkomplexe onanieren, wie bahnbrechend).

Les Soldats: Trinken die auch Blut?

Backstory

Männer und Machtkomplexe bringt uns zum Kern der Geschichte. Und das ist Altenas Herkunft aus einem Krisengebiet und ihre Vergewaltigung als Kind durch Soldaten. Altena ist zugegebenermaßen deshalb eine verbitterte alte Frau geworden, die durch einen elaborierten Racheplan Erlösung erbittet. Sie projiziert ihren Hass („If Love can kill people, hatred can save them“ ist ihr Mantra) auf alle mächtigen Männer (wie der Soldat einer war) und bildet zudem die Noirs als gewissenlose Killermaschinen aus, um sich an degenerierten Männern als Ganzes und damit auch an Soldats rächen zu können. Denn jemand muss „für die Sünden“ bestraft werden. Altena will die Welt brennen sehen, soviel wird früh klar. Ob das ihre Taten rechtfertigt, das muss der Seriengucker selbst entscheiden.

Der Anime ist einfach hübsch gemacht…

Styling

Letztendlich will die Serie durch die ganzen Andeutungen Tiefe vortäuschen. Doch der Hauptgrund, warum sie anzuschauen ist, ist die stimmungsvolle Regie, der hübsche Soundtrack und das europäische Flair der Serie, welches ich nochmal hervorheben will. Es wäre hier von Vorteil gewesen, die Serie auf 36 oder gar 52 Folgen zu ziehen, um alles viel sorgfältiger ausarbeiten zu können. Aber man schaut Noir, wie man eine Line zieht. Für den „Rush“!

Berechnende Schlampe: Ihr Herz ist nicht das einzige, was Altena ziemlich früh verloren hat.

Beurteilung:

PRO

Sehr ansprechende RegieGuter Soundtrack untermalt Bilder oft sehr, sehr gutStilvolle, actionreiche „Missions“-Folgen

CONTRA

Oft repetetiv, Stimmung wird wieder und wieder „gemolken“Charaktere recht flachDurchgehender Plot deshalb nur mäßig

Letztendlich eine stylische Actionserie, die „deep“ wirken will, aber oft leider nur oberflächlich bleibt. Die Serie hätte von einer längeren Laufzeit profitiert. Für die 3 Pro-Punkte gibt es 3 Sterne, plus einen halben, weil das Gesamtprodukt zwar flach, aber trotzdem stimmig ist.

3.5 von 5 Sternen

Der Schein trügt, er versteht keinen Spaß – Der Alte Mann von Soldats versteckt unter dem Tisch eine Shotgun. Ein Blutbad beginnt.

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